Illustration an der HBK Braunschweig

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Johanna Seipelt „Der Rausch der Dinge | Paradiesextrakte“

Diplomarbeit, 2009
unter Betreuung von Prof. Ute Helmbold, Silke Helmerdig und Prof. Dr. Annette Tietenberg

Paradies – ein Wort, das zur Metapher geworden ist – Synonym für ein Leben in Fülle und Unbeschwertheit – verbunden mit all den Gedanken an verlorene Gärten und goldene Zeitalter, versunkene, ferne und künftige Welten, utopische Staaten, -Inseln, -Gesellschaften, dem »Bedürfnis der Sinne nach Farbigerem, Duftenderem, Zügelloserem, Wilderem, Wiederspruchsvollerem, Maßloserem, Übermenschlicherem und Schönerem als es die eigene Gegenwart bieten kann,« (H. Heuermann) und die aus diesem Bedürfnis geborenen Versuche ein irdisches Paradies zu finden oder eines zu schaffen, bildet den Ausgangspunkt meiner Diplomarbeit.

Besonderes Interesse galt von Anfang an weniger den religiösen als vielmehr den irdisch- säkularisierten Paradiesen und ihren vielfältigen Variationen in der Literatur- und Kunstgeschichte, die im erstaunlichen Maße phantastische Züge tragen. Hieronymus Boschs »der Garten der Lüste« ist dafür ein herausragendes Beispiel. Ebenso die Erzählungen vom Schlaraffenland, der wohl frivolsten und lebenslustigsten Variante eines irdischen Paradieses.

Die Arbeit umfasst 5 Kleininstallationen die in einer Ausstellung zusammengefasst sind:
Sardellen bilden, in Gelatine gegossen, einen erstarrten aber sehr vergänglichen Schwarm. Porzellanfische liegen auf einem Tisch wie auf einem Altar; ein weiterer, einzelner Fisch ist in das Küchenwaschbecken projiziert; präparierte weiße Mäuse werden in Papierförmchen und Blechdose zu Pralinen; ein Schneckenhaufen ist unter die Decke projiziert, übergroß und überlaut; einzelne Schnecken aus Wachs lösen sich gleichsam aus der Projektion und ziehen über die Wände in alle Räume.

Die Arbeiten sind in hohem Maße von ihrer Materialität geprägt. Das Experiment mit verschiedenen Werkstoffen und Medien ist ein Versuch, die Möglichkeiten des Spiels mit Künstlichkeit und Natürlichkeit auszureizen. Durch Kontraste; das Nebeneinander von Schönheit und Hässlichkeit, Künstlichkeit und Natürlichkeit, Lust und Ekel; die Vermischung von Sakralem und Profanem, entsteht Poesie und ersetzt eine natürliche Phantastik. Verderblich, zerbrechlich, nicht greifbar, sind die Paradiesextrakte.

Ausstellungsort ist eine leerstehende Wohnung in einem Mietshaus. Sie diente über den Erarbeitungszeitraum zeitweilig als Atelier und wird nun gleichsam von den Arbeiten bespielt die in ihr entwickelt wurden.
Weiß herrscht vor, und Leere. In ihrer Tristesse ist die Wohnung Projektionsfläche; die alltägliche Realität, aus welcher Halluzinationen vom Paradies entstehen können, wenn, wie Baudelaire schreibt, »(…) die Sinne geschärft sind, der Geist bereit ist zum Wundern, sodass der erstbeste alltäglichste Gegenstand mit einem mal zu sprechenden Zeichen wird.«

Eine ausgesprochen nüchterne, reduzierte und unterkühlte Atmosphäre kollidiert hier mit den üblichen Vorstellungen von Paradies. Man findet vielleicht eine blasse Erinnerung, einen Nachklang, die schal gewordenen Überreste eines Paradieses.